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Die Persönlichkeitsstrukturen nach Riemann, ihre Verkörperung und ihr Einsatz in der Integrativen Körperarbeit – Teil 4

Der Euphorie-Typ
von Anton Stejskal

In vierten und letzten Teil stelle ich den euphorischen Typ und seine Verkörperung vor.

Der Euphorie-Typ (der hysterische Typ nach Riemann)

… ist spontan, kreativ, visionär und kümmert sich wenig um Details. Er ist beziehungsorientiert und leicht für neue Ideen zu begeistern. In Bereichen, in denen es um Innovation geht, ist er/sie am rechten Platz. Er kann Kolleg*innen motivieren, schafft ein inspirierendes Arbeitsklima und improvisiert gerne. Fehlen regulierende Strukturen, kann aus Begeisterung und Kreativität schnell Chaos entstehen. Bekommt der spontan-kreative Mensch zu wenig Bestätigung und Bewunderung, reagiert er mit großem Drama und Inszenierung.

Wie äußert sich „Euphorie“ leiblich?

Riemann schrieb dem euphorischen Menschen eine zentrifugale Leibbewegung zu. Die Bewegung strebt nach außen, die theatralische Geste ist seine Stärke. Diese Extraversion und Emotionalität wirkt einnehmend und macht den/die Euphoriker*in zu einem attraktiven Menschen. (Schauspieler*innen brauchen eine gute Portion dieser Eigenschaften). Schwierig für alle Beteiligten kann es werden, wenn das organisierende Zentrum im Leib abhanden kommt oder nie vorhanden war. Dann verliert sich der Mensch in seinem „ballistischen Verhalten“, weil nicht mehr spürbar ist, „worum“ es geht. Das erinnert mich übrigens an einen schönen Satz des Schauspielers Robert Redford über seine Art, zu spielen: „Ich bereite mich nicht auf eine Rolle vor, ich liebe es, zu improvisieren. Aber du musst DA SEIN, du musst den Charakter bewohnen (inhabit the character), sonst fliegt alles auseinander (bounce out of the parade).“

Der Leib wirkt lebendig, aber unkoordiniert. Ich erinnere mich an einen Kunden, der das Problem hatte, immer (oder zumindest oft), wenn er von einem Tisch aufstand, das Tischtuch oder gleich den ganzen Tisch „mitzunehmen“, wie er es ausdrückte.

Die Arbeit mit Euphorieanteilen in der Integrativen Körperarbeit

Ein erstes Indiz, dass dieser Typ dominiert, ist der Umgang mit den vereinbarten Terminen. Euphoriker tun sich manchmal schwer mit Pünktlichkeit, weil „noch etwas dazwischengekommen ist“, oder der Termin bzw. die Zeit schlichtweg vergessen wurde. Hier gilt es, klare Worte zu finden, um den Menschen in die Verantwortung zu holen (mit dem Risiko, dass er/sie sich eingeengt oder gemaßregelt fühlt und nicht mehr kommt).

Leiborientierte Gesprächsführung versucht, dem Menschen sein Zentrum spürbar zu machen. Wichtig ist hier, auf das Sprechverhalten an sich zu achten. Kann der- oder diejenige auf den Punkt kommen oder springen wir von einem Thema zum nächsten. Die anfängliche Themenfindung und auch das am-Thema-bleiben ist bereits eine wichtige beraterische Interaktion.

Die Fragen zielen wieder auf das Benennen und Bewusstmachen von leiblichen Dynamiken: Wie spürt sich der Körper an, wenn Sie mir diese Situation schildern?; Wo liegt gerade Ihr Körperzentrum?; Spüren Sie die Schwerkraft?; Wohin geht gerade der Fokus?; Hat diese Richtung einen Ausgangspunkt?, …

Zu lange, ruhige Berührung an einer Stelle (wie sie in der Craniosacral-Arbeit ja vorkommt), kann Euphoriker*innen irritieren. Still-liegen und still-sitzen ist eine Herausforderung. Gelingt das, so liegt der Schwerpunkt auf Zentrierung. Wo ist die Körperachse, ist sie spürbar? Jede Mittellinienarbeit ist hilfreich.

Wird der Mensch unruhig, ist wieder IKA im Gehen oder in Bewegung angezeigt. Ein Ablauf einer Bewegung könnte sein: Leg deine Hände auf Brust und Bauch und spür deine innere Achse. Aus diesem Zentrum erfolgt eine Bewegung … und kehrt wieder dorthin zurück. Wichtig ist  auch die richtige, begleitende Atmung. Übungen dieser Art können als Hausaufgabe gegeben werden.

Manchmal schlage ich vor, die nächste Sitzung schriftlich vorzubereiten. Welche Lernschritte gab es, welche Fragen haben sich daraus ergeben und was ist das Thema der nächsten Sitzung? Spontane Menschen übersehen oft Vorbereitung und sie dazu einzuladen, öffnet neue Wege.

IKA-Praktiker*innen sollten ihren eigenen Euphorieanteil kennen und reflektieren. Wo ist Spontaneität gefragt und wo braucht es Struktur? Improvisation ist nicht immer das Mittel der Wahl bzw. ist sie dann sinnvoll, wenn sie einen soliden Bezugspunkt hat, von dem sie ausgeht (z.B. das Improvisationsvermögen einer gut ausgebildeten Musikerin).

Nachsatz

In der Integrativen Körperarbeit ist es wichtig, einen offenen Blick zu bewahren. Menschen verkörpern (fast) immer die Eigenschaften mehrerer Typen in sich. Ebenso ist ihr Verhalten abhängig von den gerade herrschenden Umständen. Indem wir wahrnehmen, was leiblich spürbar ist, bleiben wir in der Arbeit konkret und geerdet. Indem wir fragen, anstelle den Menschen auf einen Typus festzuschreiben, eröffnen wir Freiräume für Entwicklung.

Arbeitsmodelle sollten immer dem Wohle der Kund*innen dienen. Sie sind nicht dafür da, sich selbst zu bestätigen. So ist es auch mit den Persönlichkeitsstrukturen nach Riemann.