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Die Persönlichkeitsstrukturen nach Riemann, ihre Verkörperung und ihr Einsatz in der Integrativen Körperarbeit – Teil 3

Der Ordnungs-Typ
von Anton Stejskal

1961 erschien das Buch „Grundformen der Angst“ des deutschen Psychoanalytikers Fritz Riemann. Darin beschreibt er vier Persönlichkeitstypen – die schizoide, die depressive, die zwanghafte und die hysterische Persönlichkeit –, sowie ihre spezifischen Ängste. Hier stelle ich die vier Typen und ihre Verkörperung als Arbeitsmodelle für die Integrative Körperarbeit (IKA) vor. Diesmal:

Der Ordnungs-Typ (der zwanghafte Typ nach Riemann)

Menschen mit hohem Ordnungsanteil streben nach Sicherheit, Dauer und Struktur. Sie sind verlässlich, methodisch und erledigen Aufgaben verantwortungsvoll und pflichtbewusst. Bekommen sie ausreichend detailreiche Informationen und sichere Rahmenbedingungen, sind sie zuverlässige, treue und loyale Mitarbeiter*innen und Partner*innen, auf die man sich verlassen kann. Schwierig kann es werden, wenn sie mit unerwarteten Situationen und unberechenbarem Verhalten konfrontiert sind. Gerät ihr sicheres „Gehäuse“ (nach Karl Jaspers) ins Wanken, reagieren sie mit moralischem Druck oder beharren pedantisch und unflexibel auf Regeln und Vereinbarungen.

Wie äußert sich „Ordnung“ leiblich?

Riemann schrieb dem ordnungsliebenden Menschen eine zentripetale Leibbewegung zu. Also eine Eindrehung (in die „sicheren vier Wände“?), die manchmal mit einer introvertierten Grundhaltung einher geht. Der Körper fühlt sich verhalten, manchmal gehalten an, als gäbe es eine Angst, sich zu sehr zu „äußern“ oder gar zu verlieren. Große Bewegungen sind selten, der Körper drückt sich sparsam aus.

Manchmal sind die Kieferschließmuskeln angespannt, ja verbissen, als wäre es auch hier nötig, zu kontrollieren, was man „auslässt“. Fühlt er/sie sich wohl, wirkt der Körper versammelt, alles ist am rechten Platz und so „wie es sein soll“.

Die Arbeit mit Ordnungsanteilen in der Integrativen Körperarbeit

Leiborientierte Gesprächsführung ist hier herausfordernd. Der/Die Kund*in überlegt, was er/sie sagt und das erschwert den spontanen Ausdruck, der für den Leibbezug so wichtig ist. Oft wissen die Kunden das und sagen gleich zu Beginn: „Ich möchte nicht allzuviel reden, arbeiten wir gleich mit dem Körper“. Sie wissen, wie kontrolliert sie sind und versuchen gleichsam, sich selber zu „überlisten“. Es ist wichtig, sich in den Menschen hinein zu versetzen und „seine Sprache“ zu sprechen. Das schafft Sicherheit und kann die Türen zur lebendigen Selbstäußerung öffnen. Menschen mit sehr hohem Ordnungsanteil haben manchmal Geheimnisse, d.h. nicht-öffentliche Bereiche, wo sie aus sich herausgehen und ihren Bedürfnissen freien Lauf lassen. Kommen diese zur Sprache, gilt es, achtsam und gelassen zu bleiben. Einerseits damit wir uns selber nicht überfordern und andererseits, damit wir die Grenzen der beraterischen Arbeit nicht überschreiten.

Berührung wird meist als entspannend wahrgenommen. Allerdings muss uns als IKA-Praktiker*innen der Unterschied zwischen „Entspannung“ und „Prozessarbeit“ klar sein. Ich habe erlebt, dass Menschen auslassen konnten – oft eingeschlafen sind – aber ein wirklicher Entwicklungsprozess kam nicht zustande. Ein Schlüssel zur Veränderung kann die Arbeit mit den Faszien bzw. der Flüssigkeit in den Faszien sein. Wird dieses „Fließen“ im Gewebe für den/die Kund*in deutlich spürbar und geschieht das in einem sicheren, überschaubaren Rahmen, können sie sich darauf einlassen. Dann können wir Bewegungsübungen als Hausaufgabe geben, die sie auch gewissenhaft ausführen. Es empfiehlt sich, mit Ordnungs-Menschen über lange Zeiträume zu arbeiten. Das schafft Sicherheit, Vertrauen und entspricht ihrem Bedürfnis nach Dauer und Kontinuität.

Auch „IKA im Gehen“ (eine spezielle methodische Interaktion in unserer Arbeit) kann im Prozess helfen. Unser Gegenüber äußert seine bewährten Modelle und Strategien und bleibt gleichzeitig in Bewegung.

Da es in der Körperarbeit darum geht, neue leibliche Erfahrungen zuzulassen und auszuprobieren, kommt es – in seltenen Fällen – vor, dass stark ordnungsorientierte Kund*innen (sich) das nicht erlauben. Dann ist unsere Arbeit für sie nicht das Richtige. Sind sie bereit, sich auf Neues einzulassen, können sie von Körperarbeit sehr profitieren.

IKA-Praktiker*innen sollten ihren eigenen Ordnungsanteil kennen und reflektieren. Bemerke ich an mir, dass ich mein Gegenüber ungeduldig an bereits gemachte Entwicklungsschritte erinnere oder ärgerlich verlange, „doch endlich erwachsen zu werden“, sollte ich sofort durchatmen, innerlich einen Schritt zurück machen und Inter- oder Supervision in Anspruch nehmen. Wann immer wir beharrlich und ungehalten auf etwa „pochen“, hat unser Ordnungsanteil übernommen.

Auch sollten wir keine raschen, spektakulären Veränderungen erwarten. Die Arbeit mit ordnungsgeneigten Menschen ist eine gute Gelegenheit, unsere eigenen Hilfs-Ansprüche zu überdenken.

Nachsatz

In der Integrativen Körperarbeit ist es wichtig, einen offenen Blick zu bewahren. Menschen verkörpern (fast) immer die Eigenschaften mehrerer Typen in sich. Ebenso ist ihr Verhalten abhängig von den gerade herrschenden Umständen. Indem wir wahrnehmen, was leiblich spürbar ist, bleiben wir in der Arbeit konkret und geerdet. Indem wir fragen, anstelle den Menschen auf einen Typus festzuschreiben, eröffnen wir Freiräume für Entwicklung.

Arbeitsmodelle sollten immer dem Wohle der Kund*innen dienen. Sie sind nicht dafür da, sich selbst zu bestätigen. So ist es auch mit den Persönlichkeitsstrukturen nach Riemann.

Im nächsten Beitrag stelle ich den Menschen mit hohen Euphorieanteilen vor und beleuchte, wie sich diese im eigenen Körper und in Beziehungen ausdrücken.