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Die Persönlichkeitsstrukturen nach Riemann, ihre Verkörperung und ihr Einsatz in der Integrativen Körperarbeit – Teil 1

Der Distanz-Typ
von Anton Stejskal

1961 erschien das Buch „Grundformen der Angst“ des deutschen Psychoanalytikers Fritz Riemann. Darin beschreibt er vier Persönlichkeitstypen – die schizoide, die depressive, die zwanghafte und die hysterische Persönlichkeit –, sowie ihre jeweils spezifischen Ängste. Im Folgenden stelle ich die vier Typen und ihre Verkörperung als Arbeitsmodelle für die Integrative Körperarbeit (IKA) vor.

Der Distanz-Typ (der schizoide Typ nach Riemann)

Ein Mensch mit hohem Distanzanteil liebt seine Unabhängigkeit. Er steht oft außen, wirkt unbeteiligt, als würde er nicht dazugehören. Das kann Andere einerseits verunsichern, gleichzeitig gibt es ihm aber den Freiraum, Situationen kritisch und mit wohlwollender Distanz einzuschätzen. Wie distantes Verhalten beurteilt und bewertet wird, ist immer situationsabhängig.

Wie äußert sich „Distanz“ leiblich?

Nach Riemann dreht sich der distante Mensch „um sich selbst“. Der Dreh- und Angelpunkt (in der Craniosacral-Arbeit sprechen wir von einem Fulcrum) liegt in seinem Zentrum. Diese Rotation um die eigene Achse hat Vor- und Nachteile: Einerseits kann sie den Menschen unnahbar wirken lassen, andererseits aber hilft sie ihm, in schwierigen Situationen den eigenen Raum zu halten. Manchmal ist eine „Hülle“ spürbar, die ihn/sie umgibt.

Beziehungs- und kontaktorientierte Menschen haben es mit solchen Partner*innen/Kolleg*innen oft schwer. Sie spüren den Abstand am eigenen Leib und nicht selten fragen sie sich, ob sie selber etwas falsch gemacht haben. Hier hilft, gut in Kontakt mit dem eigenen Körper, dem eigenen Atem zu bleiben, und aus dieser Distanz (!) heraus das Gespräch zu suchen. Oder mit anderen Worten: Es hilft nichts, wenn sich alles um einen Menschen dreht, der sich (ausschließlich) um sich selber dreht.

Die Arbeit mit Distanzanteilen in der Integrativen Körperarbeit

In der leiborientierten Gesprächsführung sprechen wir Kund*innen darauf an: „Wenn Sie diese Situation beschreiben, wirken Sie abgegrenzt auf mich. Wie spüren Sie das gerade körperlich?“ Oder beziehungsorientiert: „Wenn Sie sprechen, spüre ich eine große Distanz zu Ihnen. Wie nehmen Sie mich gerade wahr?“.

In der direkten Berührungsarbeit kann es passieren, dass wir mit manchen Körperbereichen nicht in Kontakt kommen. Sie wirken unzugänglich und abgeschottet. Hier hilft, gemeinsam zu erspüren, mit welchem anderen Körperbereich der isolierte Teil kommunizieren kann, um sich so wieder in das große Ganze einzufügen.

IKA-Praktiker*innen sollten ihre eigenen dominanten Persönlichkeitsanteile kennen. Habe ich (als Praktiker*in) starke Nähe-Anteile in mir, kann die „Art“ meines distanten Gegenübers sehr irritierend und abweisend auf mich wirken. Vor allem wenn wir manuell arbeiten, sollten wir es daher nicht als persönliches Versagen interpretieren, wenn wir gerade nichts spüren. Es ist vielleicht einfach der verhaltene Ausdruck dieses Gewebes. Umso mehr braucht es jetzt ein interessiertes, ruhiges Gegenüber!

In der Integrativen Körperarbeit ist es wichtig, einen offenen Blick zu bewahren. Menschen verkörpern (fast) immer die Eigenschaften mehrerer Typen in sich. Ebenso ist ihr Verhalten abhängig von den gerade herrschenden Umständen. Indem wir wahrnehmen, was leiblich spürbar ist, bleiben wir in der Arbeit konkret und geerdet. Indem wir fragen, anstelle den Menschen auf einen Typus festzuschreiben, eröffnen wir Freiräume für Entwicklung.

Arbeitsmodelle sollten immer dem Wohle der Kund*innen dienen. Sie sind nicht dafür da, sich selbst zu bestätigen. So ist es auch mit den Persönlichkeitsstrukturen nach Riemann.

Im nächsten Beitrag stelle ich den Menschen mit hohen Näheanteilen vor und beleuchte, wie sich diese im eigenen Körper und in Beziehungen ausdrücken.